Abschlüsse für ukrainische Geflüchtete : „Das Beste aus beiden Schulsystemen“

Ukrainischer Schulabschluss plus Deutschunterricht – das gibt es bislang in Deutschland nur an der SchlaU-Schule in München. 21 geflüchtete Schülerinnen und Schüler haben nun ihr Abschlusszeugnis bekommen. Vertreterinnen und Vertreter aus der Bildungspolitik beider Länder haben die Zeugnisverleihung zum Anlass genommen, um im Vorfeld über neue Bildungsstrategien für geflüchtete Kinder und Jugendliche zu diskutieren.

Ukrainische Schüler von der SchlaU-Schule bekommen Ihr Abschlusszeugnis
Ukrainischer Schulabschluss plus Deutsch-Zertifikat - ein bislang einzigartiges Angebot an einer deutschen Schule.
©Jens Küsters

Das Künstlerhaus nahe dem Stachus ist ein besonderer Ort in der Münchner Kulturszene. Normalerweise gibt es hier Konzerte oder Lesungen. Am 19. Juli gehörte die Bühne aber ukrainischen Jugendlichen, die auf dem Podium ihr Abschlusszeugnis bekommen haben.

Es war nicht irgendeine Zeugnisausgabe, wie sie in diesen Wochen überall im Land stattfindet, sondern eine Premiere: 21 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine haben an der SchlaU-Schule in München ihren ukrainischen Schulabschluss der Sekundarstufe II abgelegt und zugleich Deutsch gelernt. Bislang ein einzigartiges Angebot in Deutschland.

Darum fand die Zeugnisverleihung, die die Robert Bosch Stiftung finanziell unterstützt hat, eben auch in diesem feierlichen Rahmen und in prominenter Besetzung statt. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) war genauso gekommen, wie eine Delegation des ukrainischen Bildungsministeriums und der ukrainische Generalkonsul in München, Yuriy Yarmilko.

SchlaU-Schule bietet Bildungsangebote für Geflüchtete

73 ukrainische Jugendliche haben in diesem Schuljahr an der SchlaU-Schule gelernt, 52 in der zehnten Klasse und 21 in der elften Klasse, nach der in der Ukraine die Schulzeit endet. 73 von 600 geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die sich derzeit in München aufhalten, von mehr als 30.000 Schülerinnen und Schüler in Bayern und mehr als 200.000 Schülerinnen und Schülern deutschlandweit. Möglich gemacht hat dies das Programm SchlaUA. SchlaU steht für schulanalogen Unterricht und SchlaUA für das Ukraine-Projekt der Schule.

Die SchlaU-Schule, die 2014 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde, ist eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule in München für junge Geflüchtete. Dahinter steht der Trägerkreis Junge Flüchtlinge e.V., der sich seit mehr als 20 Jahren für die Bildung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen einsetzt, „die in vorhandene öffentliche Bildungsangebote nicht oder nur nachrangig integriert oder vermittelt werden können“, wie es auf der Website heißt. Obwohl einzelne Schulangebote seit Jahren durch die Landeshauptstadt München bezuschusst werden, finanziert sich das Ukraine-Projekt ausschließlich durch Spenden. Eine Unterstützung durch die Landeshauptstadt München beziehungsweise das Bayerische Kultusministerium gibt es bislang nicht.

Vier Jahre am deutschen Gymnasium statt ein Jahr in der Ukraine, das fand ich nicht gut.
Anastasiia, Absolventin der SchlaU-Schule
Schulabsolventin Anastasiia mit Zeugnis
Absolventin Anastasiia
©Jens Küsters

In diesem Schuljahr hat die Schule mit dem Projekt SchlaUA Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine, die dort die 10. oder 11. Klasse besucht hätten, ein besonderes Angebot gemacht: In Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Bildungsministerium und zwei Partnerschulen in Ternopil in der Ukraine bekommen sie Unterricht nach dem ukrainischen Curriculum, etwa 20 Prozent über Online- oder Blended-Learning-Formate und 80 Prozent in Präsenz.

Zusätzlich haben sie fünf Stunden Deutschunterricht in der Woche. Außerdem werden sie psychosozial begleitet, um das Trauma der Flucht zu bewältigen und mit der unsicheren Zukunftsperspektive umzugehen. Nach der 11. Klasse können die Jugendlichen dann ihren ukrainischen Schulabschluss machen und zugleich eine Deutschprüfung ablegen.

Konzept mit ukrainischem Bildungsministerium entwickelt

Die meisten haben in diesem Schuljahr das Zertifikat A2 geschafft, manche auch B1. Anastasiia zum Beispiel. Die 17-Jährige, die seit März 2022 in München wohnt, freut sich, dass sie den Abschluss in der Tasche hat.

Anastasiia hat durch Zufall von der SchlaU-Schule gehört. Vorher hatte sie bei mehreren Gymnasien in München angefragt. Dort hätte sie dann die zehnte Klasse wiederholen und danach die dreijährige Oberstufe absolvieren können. „Das sind dann vier Jahre am deutschen Gymnasium statt nur ein Jahr in der Ukraine, das fand ich nicht gut“, erzählt sie in ziemlich gutem Deutsch. Sie war aber schon fast so weit, sich darauf einzulassen, weil sie unbedingt studieren will, als sie von dem SchlaUA-Projekt gehört hat.

Probleme mit Disziplin und Motivation an vielen Schulen

Das Konzept des SchlaUA-Projekts will „das Beste aus beiden Schulsystemen“ vereinen, um den geflüchteten Schülerinnen und Schülern Sicherheit und viele Möglichkeiten für ihre Zukunft zu bieten, erklärt Michael Stenger, Gründer und Vorstand der SchlaU-Schule. Inwieweit kann das Projekt ein Modell auch für andere Schulen sein? Darüber haben Vertreterinnen und Vertreter aus der Bildungspolitik beider Länder im Vorfeld der Zeugnisverleihung diskutiert und Empfehlungen formuliert.

Einigkeit herrschte darüber, das Unterrichtsangebot für ukrainische Schülerinnen und Schüler weiterzuentwickeln. Denn Lehrkräfte beobachten im Gegensatz zu geflüchteten Schülerinnen und Schülern aus anderen Ländern, dass ukrainische Schülerinnen und Schüler zum einen deutlich weniger motiviert sind, die deutsche Sprache zu lernen, zum anderen, dass es mehr Disziplinprobleme gibt.

Die Jugendlichen sind sehr zerrissen. Die Ukraine hat ein großes Interesse, dass sie wieder zurückkehren, sobald der Krieg vorbei ist, aber wann sie zurückkehren können, ist völlig unklar, und manche wissen auch nicht, ob sie es wollen.
Michael Stenger, Gründer der SchlaU-Schule

Michael Stenger wundert das nicht. „Die Jugendlichen sind sehr zerrissen. Die Ukraine hat ein großes Interesse, dass sie wieder zurückkehren, sobald der Krieg vorbei ist, aber wann sie zurückkehren können, ist völlig unklar, und manche wissen auch nicht, ob sie es wollen.“ Außerdem seien sie nicht freiwillig nach Deutschland gekommen, darunter leide die Motivation auch.

Und gerade für ältere Schülerinnen und Schüler sei das Ankommen an den Schulen in Deutschland frustrierend, betont Liliya Hrynevych, bis 2019 ukrainische Bildungsministerin und jetzt Beraterin für das Schulsystem. „Wenn Schülerinnen und Schüler zum Beispiel aus der 8. Klasse nach Deutschland kommen und kein Wort Deutsch können, dann aber Fachunterricht in Deutsch haben, verstehen sie nichts und erleben keinen Erfolg. Das frustriert sie.“

Anerkennung von Ukrainisch als zweite Fremdsprache gefordert

Um den Anschluss an ihre ukrainische Bildung nicht zu verlieren, würden viele Schülerinnen und Schüler daher parallel zum Besuch einer deutschen Schule auch noch ukrainische Online-Unterrichtsangebote nutzen. Diese parallelen Lernsysteme seien für Kinder und Jugendliche belastend und auf Dauer auch nicht durchzuhalten. Inzwischen können sie auch immer weniger angeboten werden.

Die Bildungspolitikerin hatte bei ihrem Besuch daher einen Wunsch im Gepäck: Die ukrainische Sprache sollte als zweite Fremdsprache an allen Schulen anerkannt werden. Das führe zumindest dazu, dass Unterricht in Ukrainisch regulär an den Schulen und nicht mehr zusätzlich als herkunftssprachlicher Unterricht außerhalb der Schule stattfinden würde.

Empfehlungen für eine neue Bildungsstrategie für Geflüchtete

Nach den deutsch-ukrainischen Bildungsgesprächen gab es auch noch weitere Empfehlungen:

  • Das Ablegen ukrainischer Schulabschlüsse ermöglichen
  • Die Zusammenarbeit mit muttersprachlichen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen an den Schulen
  • Fortbildungen in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) für alle Lehrkräfte
  • Bereitstellung von mehr Unterrichtsmaterial für die Sprachentwicklung
  • Die Einrichtung von deutsch-ukrainischen Bildungsberatungsstellen
  • Mechanismen entwickeln, um die Anerkennung von Diplomen geflüchteter Lehrkräfte zu erleichtern
  • Ukrainischen Lehrkräften Anschlussperspektiven geben

Im besten Fall sollten all die genannten Aspekte aber nicht nur für ukrainische Geflüchtete gelten, sondern auch eine Übertragbarkeit für Geflüchtete aus anderen Regionen gewährleistet sein.

SchlaU-Schule würde Konzept gern ausbauen

Viele dieser Empfehlungen werden aber wohl absehbar Zukunftsmusik bleiben. Auch die Wünsche von SchlaU-Schulleiter Michael Stenger. Er kann im kommenden Schuljahr das SchlaUA-Projekt für 60 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine anbieten. Doch es könnten viel mehr sein. Auf der Warteliste für einen Platz im Projekt stehen 300 Jugendliche. Und er hat schon Ideen, das Programm in anderen Städten zu etablieren. Aber dafür reicht bislang das Geld nicht.

Auch für Schulabsolventin Anastasiia ist die Zukunft noch offen. „Jetzt will ich erst mal aufs Studienkolleg“, sagt sie. Das Studienkolleg ist ein einjähriges Vorbereitungsangebot für ausländische Studienbewerberinnen und -bewerber mit einer Hochschulzugangsberechtigung, die nicht als dem deutschen Abitur gleichwertig anerkannt ist. Danach will sie BWL studieren. Ob in Deutschland oder in der Ukraine weiß sie noch nicht und muss sie auch noch nicht entscheiden, weil sie mit dem ukrainischen Schulabschluss und nach dem Studienkolleg beide Optionen hat.